Warum Aus Um Für In Berchtesgaden

Warum Aus Um Für In Berchtesgaden

18.Aug — Erster CSD in Berchtesgaden (BAZ)

Parade für Vielfalt: 300 Teilnehmer beim ersten Christopher Street Day in Berchtesgaden

Berchtesgaden – Berchtesgaden hat am Samstag Geschichte geschrieben: Zum ersten Mal fand hier ein Christopher Street Day statt. Rund 300 Teilnehmer zogen vom Salinenplatz aus in den Markt, begleitet von mehreren Hundert Zuschauern am Straßenrand. Der bunte Demonstrationszug endete am Weihnachtsschützenplatz, wo es Redebeiträge und ein Festprogramm gab.

 

Berchtesgaden – Es war ein Bild, das im Berchtesgadener Talkessel wohl kaum jemand je erwartet hätte: Männer in Kleidern, Frauen in bunten Outfits, Dragqueens mit glitzerndem Make-up, Transpersonen, Jugendliche mit selbst bemalten Schildern, dazu ein Meer aus Regenbogenfarben bei der CSD-Premiere in einem Ort, der sonst vom Brauchtum geprägt ist. Auf dem Salinenplatz, mit Blick auf den Watzmann, herrschte am Samstag ausgelassene Stimmung. Musik dröhnte aus den Boxen, Menschen umarmten sich. Allerdings: Gemeindevertreter ließen sich nicht blicken.

Im Mittelpunkt: Moritz Maschinsky, im Berchtesgadener Land längst bekannt als erste Dragqueen der Region. In einem Dirndl, die Haare in allen Farben des Regenbogens, griff er als Morita Maschinella das Mikrofon. »Crazy, dass so viele gekommen sind«, rief sie ins Publikum am Sammelplatz im Vorfeld des Demonstrationszuges, und sofort brandete Jubel auf. Maschinsky hat diesen Tag möglich gemacht, den bislang ersten Christopher Street Day im Berchtesgadener Land. »Bitte kein Marihuana während des Zuges rauchen«, rief er lachend ins Mikrofon. »Das können wir später machen.« Dann, ernsthafter: »Ich hoffe, ihr habt alle die Regenbogenfahnen im Gepäck!« Gemeinsam mit einer weiteren Dragqueen nahm er wenig später auf der Rückbank eines hellblauen Ford Galaxie Sunliner Cabriolets von 1961 Platz: ein rollendes Symbol zwischen Tradition und Aufbruch, zwischen Alpenkulisse und der Hoffnung auf Weltoffenheit.

Rund 300 Menschen zogen vom Salinenplatz über die gesperrte Bavaria-Kreuzung die Bahnhofstraße hinauf in den Markt von Berchtesgaden. Begleitet wurden sie von Beamten der Polizeiinspektion Berchtesgaden. Freudenrufe, Musik und Applaus waren zu hören. Menschen lehnten sich aus Fenstern, zückten ihre Handys, am Straßenrand wurde geklatscht. So mancher Passant blickte zunächst irritiert, doch die Sympathie überwog. »Die Schwuhplattler, die finde ich gut. Recht haben sie, dass sie so auftreten«, sagte eine Frau spontan, bevor sie wieder in den Beifall einstimmte. Nach rund zwanzig Minuten erreichte der Zug den Marktplatz. Als die Spitze mit dem Oldtimer einfuhr, brandete erneut Applaus auf. Es ist, als hätte Berchtesgaden unbewusst auf diesen Moment gewartet. Moritz Maschinsky selbst zeigte sich überwältigt. »Ich freue mich riesig, aber ich bin wahnsinnig nervös«, gestand er.

Am Weihnachtsschützenplatz erreichte der Umzug seinen Höhepunkt. Dort, umgeben von Infoständen und Fahnen, traten die »Schwuhplattler« auf, jene queere Schuhplattlergruppe aus München (siehe separaten Bericht), die seit Jahren im gesamten Alpenraum gastiert. In Lederhosen, mit Hut und Haferlschuhen plattelten und klatschten sie im Kreis, stampften mit den Sohlen auf den Untergrund. Die Musik trieb sie an, das Publikum klatschte. Das Zeichen, das sie setzen wollen: Brauchtum und queere Identität sind kein Widerspruch. Der Applaus war laut, viele filmten, Zugabe-Rufe hallten über den Weihnachtsschützenplatz. »Wir sind einfach Menschen wie alle anderen auch«, hatten die Tänzer im Vorfeld gesagt. In Berchtesgaden bewiesen sie es mit jedem Schlag auf ihre Oberschenkel.

Neben Musik und Tanz waren es die Redebeiträge, die dem Tag Tiefe verleihen sollen. Henryk Hoefner, Vorstandsmitglied von CSD Deutschland, sprach vom »ersten Alpen-CSD überhaupt« und ordnete die Premiere in einen größeren Kontext ein. Mehr als 220 CSDs gab es inzwischen bundesweit, Tendenz steigend, immer öfter auch in kleineren Orten. »Das ist eine große Hürde im ländlichen Raum«, sagte er, »aber ein wichtiges Zeichen.« Hoefner spart nicht mit Kritik: Dass weder Bürgermeister Franz Rasp noch ein Vertreter der Marktgemeinde anwesend waren, nannte er ein »falsches Signal«. Worte, die viele im Publikum aufhorchen ließen, gefolgt von einigen Buh-Rufen. Er warnte vor einem zunehmenden Rechtsruck: »Die Zeiten werden härter. Deshalb müssen wir zusammenhalten, bunt bleiben und nie wieder still sein.« Weitere Stimmen knüpften daran an.

Jess, Mitorganisatorin des kommenden CSD am 20. September in Freilassing, prangerte das geplante Sonderregister für Transpersonen an: »Das ist eine Verunglimpfung. Wenn die falschen Parteien an die Macht kommen, kann das fatal enden. Wir müssen jetzt handeln.« Martin Klocke, Sprecher der Orts-Grünen, rief zum »Fest der Vielfalt« und zu einem »Recht auf Selbstbestimmung« auf. Und Fiona vom CSD Traunstein erinnerte an die eigenen Anfänge: »Bei uns waren es damals gerade 80 Menschen. Hier sind es gleich über 300. Das ist ein starkes Signal.«

Auch abseits der Bühne setzte sich das Programm fort. Am Nachmittag lud der »Kleine Kuckuck« zum Gartenfest, am Abend wurde in der Kneipe »Kuckucksnest« bis spät in die Nacht gefeiert. Alles blieb friedlich, die Polizei meldete keinerlei Vorkommnisse. Zurück bleibt das Gefühl, dass sich der CSD in Berchtesgaden überraschend selbstverständlich anfühlt, mitten in jenem Ort, der wie kaum ein anderer für traditionsreiches Brauchtum steht.

Für Moritz Maschinsky ist klar: Dies war nur der Anfang. »Wir wollen wiederkommen«, sagte er. Schon jetzt organisiert er mit seinem Verein »Queer-Steiger« Stammtische, Workshops und Diskussionsrunden. Auch das wachsende Medieninteresse sieht er als Rückenwind. »Ich bereue diesen Schritt keine Sekunde«, sagte er, vor ihm die Menge an Zuhörern, die ihm und seiner Community an diesem Tag zujubelten.

(Kilian Pfeiffer)