Warum Aus Um Für In Berchtesgaden

Warum Aus Um Für In Berchtesgaden

19.Feb — »Die Zeit des Leugnens und Verharmlosens ist abgelaufen« (Vision Berchtesgaden @ BAZ)

»Die Zeit des Leugnens und Verharmlosens ist abgelaufen«

Berchtesgaden – Die Klimakrise ist ein heiß diskutiertes Thema, sei es in den Medien, in Fernsehshows, bei Stammtischen oder – oft besonders heißt – auf Social Media-Plattformen. Auch in Leserbriefen und auf dem Facebook-Kanal des »Berchtesgadener Anzeigers« geht es hier mitunter deutlich zur Sache. Viele Skeptiker tun die Klimakrise als Panikmache oder gar »Fake News« ab. Mit einem offenen Brief wendet sich deswegen »Vision Berchtesgaden« an alle, die den Klimawandel nicht wahrhaben wollen.

(v.l. Mona Wimmer, Maresa Brandner, Louisa Widmann, Eva Goldschald, Simone Klauer, Susanne Kinast)

»Vision Berchtesgaden« ist eine Gruppe junger Frauen, die sich zum Ziel gesetzt hat, regional für nachhaltige Veränderung zu sorgen und mit vielfältigen Projekten aktiv ihre Heimat mitzugestalten. Ihr offener Brief trägt den Titel »Die Dringlichkeit der Klimakrise: Warum jetzt sofortiges Handeln erforderlich ist.« Dafür hat die Gruppe lange recherchiert und Fakten zusammen getragen.

Denn auch sie hören in Gesprächen im Talkessel bezüglich der Erderhitzung wiederkehrend verschiedene, irreführende Aussagen: »Zur Zeit der Dinosaurier war es auch schon warm, wir befinden uns am Ende einer Eiszeit, CO2 ist gut für Pflanzen und überhaupt kann man das Ganze auch anders sehen.« Die Gruppe schließt daraus, dass es immer noch zu viele Menschen gibt, die »sich weigern, die Tatsache der Klimakrise anzuerkennen«. Trotz immer häufigerer Starkregenfälle, Hochwasser und Dürreperioden. »Vision« schreibt dazu: »Und diese Ablehnung ist nachvollziehbar. Immerhin sind die Veränderungen, von denen wir lesen, die wir sehen und spüren, beängstigend. Unsere Lebensweise der letzten Jahrzehnte hat die Natur zerstört, Tier- und Pflanzenarten rasant dezimiert und die Klimakrise verantwortet. Es bedeutet, dass wir unsere Art des Lebens und Schaffens ändern müssen. Doch die Zeit des Leugnens und Verharmlosens ist abgelaufen: 2024 lag die globale Durchschnittstemperatur bei über 1,5°C und hat als erstes Jahr seitdem die menschliche Zivilisation existiert, ganzjährig das Pariser Klimaziel überschritten.«

Das kann dramatische Folgen haben, heißt es in dem offenen Brief: »Aufgrund der Kipppunkte im Erdsystem ist es aber von größter Bedeutung, die globale Temperaturerhöhung möglichst nah bei 1,5°C zu stabilisieren. Der Westantarktische Eisschild hat vermutlich seinen Kipppunkt bereits überschritten, der Amazonas-Regenwald ist aufgrund der massiven Abholzungen am Zusammenbrechen und die Golfströmung ist wesentlich instabiler als vor wenigen Jahren noch gedacht. Je heißer es wird, desto instabiler werden diese Systeme und umso wahrscheinlicher sind Entwicklungen, die wir nicht mehr aufhalten können.«

Dazu nennt die Gruppe eine weitere »kaum beachtete, erschreckende wissenschaftliche Erkenntnis: Die globalen CO2-Senken, die den Großteil unserer Emissionen abfangen, hören auf zu funktionieren. Die Wälder, Pflanzen und Böden verlieren aufgrund von Hitze und Dürre ihre Fähigkeit, CO2 zu binden. Die weltweiten Ozeantemperaturen eilen von einem Rekord zum nächsten. Dabei war dies bisher die größte Senke und der größte Wärmepuffer. Doch je wärmer Wasser ist, umso weniger CO2 kann gebunden und Wärme ausgeglichen werden. Gleichzeitig führen die erhitzten Weltmeere überall auf unserem Planeten zu katastrophalen Extremwettern: Sei es ›Milton‹in Florida, dessen schieres Ausmaß einen Meteorologen vor laufenden Kameras in Tränen ausbrechen ließ, seien es 600 Liter Niederschlag pro Quadratmeter in Frankreich oder zuletzt über 200 Tote in Südspanien.«

Außerdem: Hitze, Dürren und Starkregenfälle sorgen für Ernteausfälle, Sturzfluten für zerstörte Infrastruktur. Die Biodiversität wird durch die steigenden Temperaturen und dezimierten Lebensraum unter Druck gesetzt. »Wir sind allerdings besonders auf (Bestäuber)-Insekten angewiesen, wenn wir uns weiterhin ernähren wollen«, schreibt Vision Berchtesgaden und appelliert: »Lasst uns aufhören, so zu tun, als wären 30 Grad im April normal. Dass es nichts ungewöhnliches ist, im Februar Temperaturen wie Ende März zu haben. Dass Skifahren im Talkessel unter 1 500 Metern kaum noch möglich ist. Oder dass Europa inzwischen jedes Jahr verlässlich von Jahrhunderthochwasser, Jahrhundertstarkregenfällen und Jahrhundertdürren heimgesucht wird. Der Skibetrieb am Jenner wurde eingestellt, der Blaueisgletscher ist kaum mehr als ein kümmerliches Altschneefeld. Das ist nicht normal.«

Zur Wahrheit gehört für die Gruppe auch: »So wie es Kipppunkte im Ökosystem gibt, gibt es auch positive soziale Kipppunkte, die Veränderung beschleunigen können. Wir brauchen die Solidarität unserer Mitmenschen und auch von Gruppen, Vereinen und Institutionen, um gemeinsam den Weg in eine nachhaltige Welt zu ebnen. Eine klimaneutrale, zukunftsfähige Welt braucht andere Strukturen als die, die wir jetzt haben: Einen günstigen ÖPNV mit intelligentem On-Demand-System. Ein gut ausgebautes Radwegenetz, das es leicht und sicher macht, auch mal das Auto stehen zu lassen. Wirtshäuser, in denen es mehr vegetarisch/pflanzliche Gerichte gibt als nur Käsespätzle und Spinatknödel.« Klimaschutz ist also durchaus ein lokales Thema.

Denn einiges können alle Menschen vor Ort selbst umsetzen: »Durch weniger Stromverbrauch sowohl CO2-Emissionen als auch Geld sparen, eine PV-Anlage installieren oder emissionsfreien Strom beziehen. Fahrgemeinschaften anbieten und annehmen. Zum veganen Mitbring-Dinner kommen und feststellen, dass veganes Essen nicht nur Fertigprodukte sind, sondern gesunde, gschmackige Gerichte. Uns mit anderen zusammenschließen und feststellen, wir sind nicht allein. Sich für den Übergang in eine klimaneutrale Welt einsetzen.

Denn für »Vision Berchtesgaden« sind das die großen Hebel: emissionsarme Mobilität, mehr pflanzliches Essen und Tierprodukte vor allem von den heimischen Bauern, Energie aus Erneuerbaren Energien und Dinge zu reparieren, statt sie wegzuwerfen. Und: »Sich eingestehen, dass wir ein (lösbares) Problem haben und selbst aktiv werden. Denn wir haben massiven Problemdruck und können es uns nicht leisten, noch ein paar Jahrzehnte auf Wundertechnologien wie Kernfusion warten. Wir haben bereits alle Lösungen, die wir brauchen.«

Gefragt ist dabei jeder einzelne, betont die Gruppe: »Was bringt es, wenn ich mein Leben umstelle, während andere unsere Welt mit Vollgas gegen die Wand fahren? Weil es um das große Ganze geht und das fängt beim Einzelnen an. Es geht um die Verantwortung, die ich für mein eigenes Leben übernehme. Indem ich mich auf die wirklich großen Hebel für ein nachhaltiges, zukunftsfähiges Leben fokussiere. Inspiriere ich andere, öfter mal vegan zu kochen, oder mit mir gemeinsam aufs Radl zu steigen? Biete ich Mitfahrgelegenheiten an oder nehme ich öfter mal den Bus oder die Bahn? Kann ich ein gutes Vorbild sein, ohne belehrend aufzutreten?«

Die Gruppe appelliert an das Miteinander im Talkessel: »Egal woran wir glauben oder welche politische Richtung wir einschlagen, eines ist sicher: Wir alle lieben unsere Heimat mit ihrer ganzen Schönheit der Natur, viele von uns leben sogar davon. Deshalb lasst uns einfach das gemeinsame Ziel festlegen, dass es um unsere Heimat geht und die Schönheit, die wir bewahren wollen. Und um unsere Kinder, die auch noch etwas davon haben sollen. Fangen wir an.«

Der vollständige offene Brief von Vision Berchtesgaden« ist – mit allen wissenschaftlichen Quellen und weiteren Grafiken – im Internet abrufbar unter https://tinyurl.com/offenerbrief-vision. Dort stellt sich die Gruppe mit ihren Zielen auch selber vor.

(fb/tj)